Sunday, August 12, 2012

Syria... my two cents

Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich überhaupt einen politischen Kommentar zu der Lage abgeben soll, habe mich aber dann für eine kurze Darstellung dessen entschieden, wie ich die derzeitige Lage wahrnehme.

Das, was sich derzeit in und um Syrien abspielt, kann definitiv als die Auswüchse offensiver Geopolitik bezeichnet werden. Mitnichten glaube ich, dass die Bevölkerung geschützt werden soll, noch, dass (mal wieder) ein Unrechtsregime entmachtet oder gar demokratisiert (mittlerweile zu einem zynischen Begriff verkommen) wird. Tatsächlich war Al-Assad lange Zeit dem Westen freundlich oder zumindest nicht direkt feindlich gesinnt (eine "Freundschaft", die schon auf einer gewissen Gegenseitigkeit beruhte) und zur gleichen Zeit dank seines Konfliktes mit Israel ideologischer Partner mit Iran. Außerdem war Syrien auch aufgrund des politischen und wirtschaftlichen Systems "traditioneller" Partner Russlands.

Diese Mehrdimensionalität in der syrischen Außenpolitik hat den Staat unter anderem zu einer Schlüsselrolle in der Verhandlung des iranischen Atomkonfliktes werden lassen – und das nur bedingt zugunsten Syriens. Denn das Winset Syriens in Sachen Diplomatie war durch die Zwischenstellung äußerst klein und die politische Nähe zum Iran sowie die Entschlossenheit desselbigen, den USA und Israel die Stirn zu bieten, nahmen dem Land gleichzeitig seine internationale Bedeutung: Es hat sich scheinbar herausgestellt, dass die syrische Freundschaft in den Verhandlungen keine Pluspunkte einbringt. Der Westen hat keinen zwingenden Grund mehr, den Machthaber nicht stürzen zu lassen; vielmehr wäre seine Schwächung mehr im Sinne des Westens – egal, zu welchem Preis. Ein schwaches Syrien bedeutet ein schwacher Iran, ein schwacher Iran ist eher zu Verhandlungen bereit.

Dass Russland sich wiederum nun so vehement gegen die Syrienresolutionen gestellt hat, hat mehrere Gründe. Zum einen sind Russland und Syrien seit dem kalten Krieg traditionelle Verbündete: Syrien gilt als sozialistisches System und kritisch "westlichem Imperialismus" gegenüber eingestellt. Noch viel wichtiger aber ist die strategische Lage des Landes. Syrien hat direkten Zugang zum Mittelmeer, in Tatus liegt der einzige Mittelmeerhafen Russlands. Brisant vor allem deshalb, da derzeit Erdgas- und Ölerkundungen im bisher unerschlossenen östlichen Mittelmeer statt finden. Die beteiligten Akteure dabei sind Zypern, Nordzypern, die Türkei, Israel, der Libanon und Syrien. Zwar gewährt Russland dem griechischen Teil Zyperns günstige Kredite und hat dadurch bereits einen wichtigen Partner in der Region (die Republik Zypern hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne), doch bietet ein Assad-Syrien Russland zudem die Gelegenheit, aktiv an einem etwaig eskalierenden Israel-Iran-Konflikt eingreifen zu können; iranische Atomanlagen wurden bekanntlich mit russischer Unterstützung gebaut. Ein dem Iran kritisch gegenüber stehendes neues Regime oder eine westlich orientierte Demokratie in Syrien könnte dem Iran und damit Russland große Probleme bereiten.

Die Interessen Russlands in der Region sind auch eine Bedrohung für die USA und Europa. Denn eine geplante Pipeline, mit dem Ziel Europa in Energiefragen unabhängiger zu machen, sollte durch einen Teil Syriens und durch die Türkei verlaufen. Erstaunlich ist allerdings, dass in den Mainstream-Medien nichts befriedigend Aufklärendes über die sogenannte syrische Opposition berichtet wird. Ähnlich wie im Libyen-Konflikt herrscht in meinen Augen allgemeine Unklarheit darüber, wo die Kämpfer der Freien Syrischen Armee, die auch von der Türkei hofiert werden, herkommen und welche Ziele sie verfolgen. Medienberichten zufolge sind die Brigaden dezentral organisiert und keinem Oberbefehl unterworfen. Bei allen Berichten über Massaker und Ungerechtigkeit gegen die Bevölkerung wird vergessen, dass die Lage alles andere als übersichtlich ist. Aus Bekanntenkreisen habe ich gehört, dass Flüchtlinge aus Syrien auch von Angriffen der Rebellen gegen die Bevölkerung erzählten. Zudem war ich verwundert, als ich gelesen habe, dass in der Stadt Homs von Rebellen das "Islamische Kalifat Baba Amr" ausgerufen wurde – kurze Zeit später wurde dieser Begriff aus allen Nachrichtenartikeln wieder entfernt; via Google kann man diesen Begriff nur noch auf verschiedenen linken Blogs finden.

Selbstverständlich, so meine Auffassung, unterstützt die Türkei die Opposition in Syrien nicht aus humanitären Gründen. Die Freie Syrische Armee bietet die exzellente Möglichkeit, eine Pufferzone im Norden Syriens einzurichten, um die Türkei vor Angriffen von PKK-Kämpfern zu schützen, die Syrien als Rückzugsort nutzen. Dabei spielt die Türkei mit dem Feuer. Denn es hat schon mehrmals eine aufgerüstete (para-)militärische Organisation (ob zentral oder dezentral) zu Problemen geführt. Gleichzeitig gibt es bereits Berichte, dass sich PKK-Kämpfer in den Brigaden befinden sollen. Es ist sicherheitspolitisches Kalkül, das die Türkei – selbstverständlich nachvollziehbar aus der hiesigen Innenpolitik – zu einer solchen Ausrichtung der Außenpolitik leitet. Der Konflikt im Südosten der Türkei und die separatistische Kurdenbewegung der PKK machen der Regierung Erdoğan (und Vorgängerregierungen) stark zu schaffen. Nicht nur, weil die Situation bisher viele Menschenleben gefordert hat und das Land entzweit, sondern auch, weil Erdoğan die türkischen Nationalisten in der Wählerschaft braucht. Er ist innenpolitisch zwischen den Fronten: Je mehr er den Kurden zugesteht, desto mehr wird er von beiden Seiten kritisiert. Von den Kurden, weil es nicht genug sei, von den türkischen Nationalisten, weil er überhaupt einen solchen Schritt gewagt hat. Dieses Patt hat unter anderem auch zu einer Verhärtung im Konflikt geführt. Die Rolle des Unterstützers einer paramilitärischen Bewegung, die sich den Sturz eines Unrechtsregimes auf die Fahnen geschrieben hat, nimmt er dafür also gerne in Kauf.

Bei all den involvierten und nachvollziehbaren Sicherheitsinteressen darf nicht vergessen werden, dass die Assad-Regierung – bedingt durch die alavitische Zugehörigkeit des syrischen Präsidenten – in der Region für seinen Minderheitenschutz bekannt ist. Selbstverständlich ist das relativ zu betrachten, es handelt sich immer noch um ein autoritäres Regime, das mit seinem effizienten – und effizient ist hier alles andere als positiv besetzt –  Geheimdienst die Menschenrechte mit Füßen tritt, doch soll dies hier auch als Appell dafür gelesen werden, vorsichtig mit Medienberichten und -Begriffen umzugehen. Die Fragen, die ich mir von der Berichterstattung beantwortet wünsche, sind vor allem: Wer sind die "Freiheitskämpfer", "Rebellen", "Terroristen", whatever? Woher kommen sie? Was sind ihre Ziele? Wie sind sie mit der Oppositionsbewegung und der "Exil-Regierung", wie sie sich gerne nennt, verbunden? Wie glaubwürdig sind die Akteure der Opposition? Welche Ideologien werden dort vertreten? Und vor allem: Was bedeutet ein Post-Assad-Syrien für Europa?

Ich bin sicher, dass da von mir noch viel übersehen wurde und dass da noch vieles ergänzt oder umgedeutet werden kann. Konstruktives Feedback (sprich: kein Anti-irgendwas-bullshit) ist immer erwünscht, denn wir konstruieren uns unsere Wirklichkeit mit den Mitteln der Wahrnehmung; an die Wahrheit kann man sich nur annähern, sie aber nie vollständig erlangen.